Hier eine Gruppe seltsam anmutender Sitzmöbel, dort ein Geschäftsmann, der im Begriff ist vom Dach zu springen und dazwischen jede Menge Malereien. Sie alle befinden sich im öffentlichen Raum und sollen dort sowohl das Stadtbild aufwerten als auch zum Denken anregen. Umgesetzt wurden sie von KÖR (Kunst im öffentlichen Raum) – eine Gesellschaft im Eigentum der Stadt Wien, die seit 2004 zeitgenössische Kunst nationaler und internationaler Künstler in Straßen und auf Plätze bringt.
Die Kulturfüchsin begab sich auf Erkundungstour und traf KÖR-Geschäftsführerin, Martina Taig, zum Gespräch. Ein Interview über ausbleibende Skandale, Vandalismus und eine mahnende Reise in den Tod.
Frau Taig, warum überhaupt Kunst im öffentlichen Raum? Was zeichnet diese aus?
Kunst im öffentlichen Raum ist Kunst, die man ganz unmittelbar erleben kann, man muss nicht bewusst dorthin gehen, sie passiert einem. Sie ist auf Plätzen, an Hausfassaden, an Straßenkreuzungen, an Orten, die in den Alltag jedes Menschen integriert sind, zu finden. Es gibt per se keine Schwellen. Sie ist barrierefrei zugänglich und kostenfrei zu erleben. Es kommt aber natürlich immer auch auf die Menschen an, inwieweit sie die Kunstwerke wahrnehmen und rezipieren möchten.
Gerade die Wahrnehmung stelle ich mir nicht immer so einfach vor: Zum einen soll sich Kunst im öffentlichen Raum in den Stadtraum einfügen, zum anderen auffallen. Das klingt nach einem Balanceakt . . .
Wenn ein Kunstwerk eine gute Qualität hat, fügt es sich gleichzeitig ein und fällt auf. Das liegt an der Ausgestaltung, an der Art wie es in den Stadtraum integriert wurde, die Art und Weise wie es sich mit der Historie, mit der Umgebung beschäftigt. Kunst im öffentlichen Raum ist immer ortsspezifisch und setzt sich im Normalfall sehr bewusst mit den örtlichen Gegebenheiten, mit der Geschichte eines Ortes, auseinander. Wobei temporäre Projekte natürlich auffallender, provokanter gestaltet sein können als permanente.
Wird im Vorfeld festgelegt, ob ein Kunstwerk temporär oder permanent an einem Ort aufgestellt wird? Hat es sich schon einmal ergeben, dass ein Kunstwerk dermaßen gut ankam, dass es für immer bleiben durfte? Wie viele Projekte realisieren Sie im Jahr?
Wir setzen 15 bis 20 Projekte im Jahr um. 80 bis 85 Prozent davon sind temporär, der Rest ist permanent. Ursprünglich temporär angedacht war zum Beispiel die Arbeit „Reason to Believe“ (eine lebensgroße Figur eines Mannes mit Hut und Aktenkoffer, der vom Sims eines Hauses in den Abgrund blickt, Anm. d. Red.) von Ronald Kodritsch am Getreidemarkt. Es ist also schon vorkommen.
Wie wählen Sie die Künstlerinnen und Künstler aus?
Die Entscheidungen werden von einer fünfköpfigen Jury mit drei nationalen und zwei internationalen Mitgliedern getroffen, die jeweils auf drei Jahre bestellt wird. Künstlerinnen und Künstler haben die Möglichkeit drei Mal im Jahr Projekte einzureichen. Die Einreichtermine sind jeweils der 15. Jänner, der 15. Mai und der 15. September. Circa vier bis fünf Wochen danach gibt es eine Jurysitzung, wo entschieden wird welche Projekte KÖR in welcher Höhe unterstützt. Pro Jurysitzungstermin sehen wir uns 35 bis 40 Projekte an. Die Jury beurteilt sowohl die diversen Projekteinreichungen hat aber auch die Möglichkeit eigens Projekte zu initiieren. Bei diesen eigens initiierten Projekten werden die Künstler je nach Projekt ausgesucht und eingeladen. Es gibt Projekte, bei denen es wichtig ist, dass man mit Wiener Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeitet. Bei anderen schauen wir, dass wir eine Mischung aus nationalen und internationalen Künstlern haben. Es gibt kein starres Schema, kein Raster, das drübergelegt wird, sondern das wird von Fall zu Fall entschieden. Worauf natürlich schon geachtet wird, ist dass Männer und Frauen gleichberechtigt eingeladen werden.
Was bedeutet es für Künstler im öffentlichen Raum sichtbar zu sein? Andersrum gefragt: Was heißt es für die Stadt, wenn (international) bekannte Künstler Werke nicht nur fürs Museum schaffen, sondern eben auch für öffentliche Plätze?
Besucherzahlen wie im öffentlichen Raum findet man in keinem Museum. Wenn man mit einer permanenten Arbeit an einem frequentierten Platz präsent ist, können bis zu 200.000 Menschen täglich daran vorbeigehen. Kunst im öffentlichen Raum bedeutet eine Aufwertung des öffentlichen Raums und somit auch eine Wertschöpfung der Bevölkerung gegenüber. Es ist eine Kunst, die per se nicht für die Touristen gemacht wird, sondern für die Menschen, die in den jeweiligen Städten leben, da diese sie auch am meisten nutzen können. Zudem gehört es heute zum State of the art, solche Projekte umzusetzen. Wien ist eine traditionsbewusste Stadt mit einer wunderbaren Historie, die sich in vielen Gebäuden spiegelt, gerade deswegen ist es auch wichtig zu zeigen, dass Wien auch modern und zeitgenössisch ist.
Apropos modern: In den letzten Jahren hat Street Art und damit Graffiti-Kunst verstärkt auch hier zulande den Sprung ins Museum geschafft. Sie hatten immer wieder Kooperationen mit Street Art Institutionen wie z.B. die ehemalige inoperable Galerie. Wie gestaltet sich der Austausch mit den Graffiti-Künstlern?
Wir machen bei KÖR keinen Unterschied, ob etwas klassische bildende Kunst oder Street Art ist. Wobei der Begriff Street Art ja generell ein sehr weit gefasster ist. Wichtig ist für uns die Qualität einer Arbeit und dass sie ortsspezifisch funktioniert.
Gibt es Projekte, die sich besser für den öffentlichen Raum eignen als andere? Videoinstallationen stelle ich mir beispielsweise sehr schwer in der Umsetzung vor . . .
Gewisse Einschränkungen gibt es bei den Materialien, die verwendet werden. Diese dürfen nicht brennbar, nicht spitz oder scharfkantig sein, sodass man sich verletzen könnte. Wenn mit Licht gearbeitet wird, darf es nicht zu stark sein und muss so positioniert sein, dass niemand davon geblendet wird. Projekte oder Installationen, die – ich möchte nicht sagen nicht geeignet – aber doch sehr kompliziert umzusetzen sind, sind jene, die mit Strom, Wasser oder Licht operieren. Das liegt zum einen daran, weil es nicht überall geeignete Anschlüsse gibt, zum anderen kann man sich nicht einfach irgendwo dranhängen – es gibt Vorschriften und Richtlinien. Zudem sind solche Kunstwerke in der Erhaltung oftmals sehr teuer. Prinzipiell geht aber mit jedem Kunstwerk eine gewisse Herausforderung einher.
Ein langjähriger KÖR-Kooperationspartner sind auch die Wiener Linien. In den letzten Jahren wurden viele Kunstwerke im U-Bahn-Bereich realisiert. Inwieweit ist ein Ausbau geplant? Manche Städte werben regelrecht mit der Kunst im U-Bahn-Tunnel. Bieten Sie generell Touren an? Und inwieweit ist Vandalismus hier ein Thema?
Es ist so, dass es in jenen U-Bahnstationen, in denen Kunstprojekte umgesetzt wurden, zu weniger Vandalismus kommt. Wenn die Menschen sehen, dass sich jemand bei einer Arbeit ein Konzept überlegt hat und sie von guter Qualität ist – auch was die Materialien betrifft, dann scheint es bei den meisten Betrachtern eine Hemmschwelle zu geben. Wenn es trotzdem zu einer Beschädigung kommt – was relativ selten ist – kommt es darauf an, wer die Inobhutnahme über die Kunstwerke hat. Bei den meisten permanenten Werken ist es die MA7, die dafür zuständig ist die Werke zu säubern oder zu restaurieren. Bei den Projekten mit den Wiener Linien sind es die Wiener Linien. Ab September wird es mit der Eröffnung der U1-Verlängerung zwei weitere Kunstwerke in neuen Stationen geben. An der Station Troststraße wird eine dreidimensionale Arbeit von Michael Kienzer zu finden sein. Der Künstler wird einen vorhandenen Lift dekonstruieren und als zweiten Liftschacht ebenfalls dekonstruiert widerspiegeln. Das zweite Kunstwerk stammt von Yves Netzhammer in der Station Altes Landgut, eine große, flächige Arbeit, die mit einer speziellen Technik eines Flip Flop Lackes operiert und die sich mit den verschiedenen Menschen, die in dieser Station ein- und ausgehen werden, beschäftigt. Die Arbeiten werden in unserem KÖR-Folder abgebildet. Auf diese Art versuchen wir sie an die Öffentlichkeit zu bringen und ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Leider erlaubt es unsere personelle Struktur nicht regelmäßig Touren anzubieten. Aber Touren zu einem bestimmten Thema oder rund um einen oder mehrere Bezirke können auf Anfrage gebucht werden.
In Wien erregen neu geplante Bauwerke oft und gerne Skandale. Inwieweit erleben Sie solche Polarisierungen in der Bevölkerung auch bei ihren Projekten? Gab es beispielsweise Probleme mit Kunstwerken, die Themen wie NS-Zeit, Homosexualität usw. ansprechen?
Vorweg kann ich sagen, man bekommt nie die Reaktion, die man sich zuvor überlegt hat. 2013 hatten wir am Morzinplatz die temporäre Arbeit „Schwule Sau“ von Jakob Lena Knebl stehen. Da haben wir mit der Künstlerin im Vorfeld besprochen, wie wir reagieren wollen, wenn es zu negativen Reaktionen kommt und waren dann sehr überrascht, weil außer ein paar Kritzeleien nichts geschehen ist. Auf der anderen Seite hatten wir vor Jahren eine temporäre Arbeit von Matt Mullican am Graben realisiert. Da sind die Wogen hochgegangen, weil die Bänke, die er gestaltet hat, keine Sitzlehnen hatten. Aber wir haben in den seltensten Fällen negative Erfahrungen gemacht. Wichtig ist, dass man für Gespräche zur Verfügung steht.
Im Journalismus ist es gerade en vogue Leute über soziale Medien zu fragen was sie interessiert, was für Fragen bei Interviewpartnern gestellt werden sollen usw. Wäre so etwas auch etwas für KÖR?
Bei Wettbewerben für permanente Umgestaltungen wie beispielsweise bei jenem zum Südtiroler Platz wurde eine Bürgerin des vierten Bezirks eingeladen als Jurymitglied ihre Stimme abzugeben. Ich fürchte allerdings, dass es keine Kunst im öffentlichen Raum geben würde, würde man mit jedem im Vorfeld sprechen was er sich dort wünscht – dafür sind die Meinungen zu unterschiedlich. Im Normalfall bekommen wir die Reaktionen sehr direkt mit. Sei es bei Eröffnungen oder beim Aufbau, die vor Ort stattfinden und an denen jeder teilnehmen kann.
Welche Eröffnungen stehen demnächst an?
Ein wichtiges Projekt, das am 7. September eröffnet wird, ist das Mahnmal Aspangbahnhof im Leon-Zelman-Park im dritten Bezirk. Es ist jenen Menschen gewidmet, die vom ehemaligen Aspangbahnhof deportiert wurden. Die Arbeit besteht aus zwei konisch zulaufenden Betonsträngen, die an Gleise erinnern, die in einem sieben Meter langen Betonsarg münden. Auf dem einen Betonstrang steht die Zahl der Deportierten und auf dem anderen, der aus dem Block wieder herausführt, die Zahl der Überlebenden geschrieben. Von den über 47.000 Menschen, die in den 47 Deportationszügen ins KZ gebracht wurden, haben knapp 1.000 überlebt. Die Arbeit ist sehr einfach gehalten und hat eine klare Aussage. Zudem haben die Künstler sehr gut auf die Umgebung reagiert. Sie lässt es trotz ihrer 33 Meter zu, den Park auch weiterhin als Erholungsgebiet zu nutzen. Im Herbst werden wir zudem einen Performance-Schwerpunkt mit drei verschiedenen Projekten haben. Ein Performance setzt sich mit dem Stadtentwicklungsgebiet Favoriten/Hauptbahnhof und mit der Geschichte des Gebietes und den Veränderungen, die dort in großem Ausmaß passieren, auseinander. Zum anderen kann man sich auf eine performative Tour begeben, bei der man verschiedene Orte erleben kann, die man sonst nicht besuchen würde und ist aufgerufen sich gemeinsam mit dem Theatercombinat eine Stunde lang zu versammeln. Das nächste temporäre Projekt, das wir am 25. Juli eröffnen, heißt „Die Insel“ am Nestroyplatz. Den Passanten bietet sich auf einer dreieinhalb Meter über dem Boden angebrachten Rasenfläche die Möglichkeit, sich mitten in der Stadt eine Auszeit zu nehmen.
Nähere Informationen zu den Projekten unter: http://www.koer.or.at
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